8. August 2014

Goethe: Die Leiden des jungen Werthers

  • am 16. Juli.        
Wenn sie gar im Gepräch ihre Hand auf die meinige legt, und im Interesse der Unterredung näher zu mir rückt, daß der himmlische Athem ihres Mundes meine Lippen reichen kann. - Ich glaube zu versinken wie vom Wetter gerüht.
Ich weis nimmer wie mir ist, wenn ich bey ihr bin, es ist als wenn die Seele sich mir in allen Nerven umkehrte. Sie hat eine Melodie, die sie auf dem Clavier spielt mit der Kraft eines Engels, so simpel und geistvoll, es ist ihr Leiblied, und mich stellt es von aller Pein, Verwirrung und Grillen hat, wenn sie nur die erste Note davon greift.

  • am 15. Aug.
Es ist doch gewiß, daß in der Welt den Menschen nichts nothwendig macht als die Liebe.

  • am 16. Merz 1771.
Jedes Wort, das sie sprach, gieng mir wie Schwerter durch's Herz.
Ich war zerstört, und bin noch wüthend in mir.
So ist mir's oft, ich möchte mir eine Ader öfnen, die mir die ewige Freyheit schaffte.

  • am 3. September.
Ich begreife manchmal nicht, wie sie ein anderer lieb haben kann, lieb haben darf, da sie so gnaz allein, so innig, so voll liebe, nichts anders kenne, noch weis, noch habe als sie.

  • am 19. Oktober.
Ach diese Lükke! Diese entsetzliche Lükke, die ich hier in meinem Busen fühle! ich denke oft! - Wenn du sie nur einmal, nur einmal an dieses Herz drükken könntest. All diese Lükke würde ausgefüllt seyn.

  • Alpin
Die welt vergieng ihnen, er [Werther] schlang seine Arme um sie [Lotte] her, preßte sie an seine Brust, und dekte ihre zitternde stammelnde Lippen mit wüthenden Küssen.

  • nach eilfe.
Alles ist so still um mich her, und so ruhig meine Seele, ich danke die Gott, der du diesen letzten Augenblikken diese Wärme, diese Kraft schenkest.


Goethe, Johann Wolfgang: Die Leiden des jungen Werthers. DTV München 1997 [Erstausgabe  Leipzig 1774].